Drei finno-ugrische Völker leben heute in ihren eigenen Staaten:
Finnland, Ungarn und Estland. In den Weiten Russlands finden sich
verwandte Völker, die aber völlig unbekannt sind – zum Beispiel die Mari
Die Geschichte der Mari, früher Tscherkessen genannt, ist nicht wirklich
eine glückliche. Im 6. Jahrhundert zunächst von den Ostgoten
unterjocht, wurden sie später von den Mongolen überrannt. Mehrere
unschöne Jahrhunderte, die sie als Vasallen des tatarischen Khan
verbrachten, endeten 1552, als Iwan der Schreckliche dessen Reich
zerstörte. Nun waren die Mari Untertanen des Zaren, aber offenbar nicht
zufrieden. Drei Befreiungskriege endeten in totaler Niederlage und
schrecklicher Metzelei. So zogen sich die Mari in die Wälder zurück –
allein schon, um sich dort vor den Missionaren zu verstecken, die sie
vom Heidentum zur Orthodoxie zu bekehren suchten. Am Ende des 19.
Jahrhunderts starb einer von vier Mari schon im Kindesalter, und 84
Prozent der Bevölkerung konnte nicht lesen. Die Beamten des Zaren
rechneten insofern mit dem unausweichlichen Aussterben.
Die Sowjets hingegen begriffen die Mari als eine der bedeutenderen
Gruppen im zaristischen »Gefängnis der Nationen«, und so wurde ihnen
ein »Autonomes Gebiet« zuerkannt, später die »Autonome
Sozialistische Sowjetrepublik der Mari«. Die eingeborenen Intellektuellen
machten sich sogleich mit den Russen ans Werk, eine neue
sozialistische Nationalkultur zu entwickeln und zugleich den heidnischen
Glauben und seine Gebräuche abzuschaffen. Das Resultat war die
Assimilierung an die russische Sprache und Kultur. Auch wurden einige
hübsche Waffenfabriken in der Republik eröffnet.
Nach der Volkszählung von 2002 gibt es heute knapp über 670.000
Mari, von denen nur etwas mehr als 40 Prozent die Republik Mari-El in
der Wolga-Region bewohnen. Selbst der Präsident von Mari-El, so darf
vielleicht hinzugefügt werden, ist ethnisch gesehen ein Russe.
In jüngster Zeit gab es Versuche, den Glauben der Vorväter wieder zu
erwecken. Einer der führenden Vertreter des alten Glaubens ist Alexei
Yakimow, ein pensionierter Elektriker, der behauptet, aus einer alten
Familie von Priestern zu stammen. Laut Yakimow beten die Mari eine
ganze Reihe von Göttern an, darunter führend Tunia Yuma und Osh
Kech Yuma. Es gibt weder Tempel noch Schriften; Riten werden in
heiligen Hainen abgehalten. Die Mari praktizieren Tieropfer. Wichtige
Gottheiten bevorzugen große Tiere wie etwa Pferde, während sich ihre
nachrangigen Kollegen mit Enten oder Hasen zufrieden geben. Kein
Gott wird ein Schwein oder eine Ziege akzeptieren.
Nun ist selbstverständlich keine Religion uniform, und so streiten
verschiedene heidnische Gruppen über die Doktrin, beispielsweise über
die korrekte Haltung, die dem Mari-Äquivalent des Satans gegenüber
einzunehmen ist. Für Außenseiter ist es jedoch schwierig, den
Glaubensanhängern exakte Informationen zu entlocken. Schon ein
oberflächlicher Blick auf den Forschungsstand zeigt aber, dass die Mari
daran glauben, dass die Nacht voll von bösen Geistern sei, die man zu
fürchten und respektieren hat. Was immerhin naheliegend ist.
Finnland, Ungarn und Estland. In den Weiten Russlands finden sich
verwandte Völker, die aber völlig unbekannt sind – zum Beispiel die Mari
Die Geschichte der Mari, früher Tscherkessen genannt, ist nicht wirklich
eine glückliche. Im 6. Jahrhundert zunächst von den Ostgoten
unterjocht, wurden sie später von den Mongolen überrannt. Mehrere
unschöne Jahrhunderte, die sie als Vasallen des tatarischen Khan
verbrachten, endeten 1552, als Iwan der Schreckliche dessen Reich
zerstörte. Nun waren die Mari Untertanen des Zaren, aber offenbar nicht
zufrieden. Drei Befreiungskriege endeten in totaler Niederlage und
schrecklicher Metzelei. So zogen sich die Mari in die Wälder zurück –
allein schon, um sich dort vor den Missionaren zu verstecken, die sie
vom Heidentum zur Orthodoxie zu bekehren suchten. Am Ende des 19.
Jahrhunderts starb einer von vier Mari schon im Kindesalter, und 84
Prozent der Bevölkerung konnte nicht lesen. Die Beamten des Zaren
rechneten insofern mit dem unausweichlichen Aussterben.
Die Sowjets hingegen begriffen die Mari als eine der bedeutenderen
Gruppen im zaristischen »Gefängnis der Nationen«, und so wurde ihnen
ein »Autonomes Gebiet« zuerkannt, später die »Autonome
Sozialistische Sowjetrepublik der Mari«. Die eingeborenen Intellektuellen
machten sich sogleich mit den Russen ans Werk, eine neue
sozialistische Nationalkultur zu entwickeln und zugleich den heidnischen
Glauben und seine Gebräuche abzuschaffen. Das Resultat war die
Assimilierung an die russische Sprache und Kultur. Auch wurden einige
hübsche Waffenfabriken in der Republik eröffnet.
Nach der Volkszählung von 2002 gibt es heute knapp über 670.000
Mari, von denen nur etwas mehr als 40 Prozent die Republik Mari-El in
der Wolga-Region bewohnen. Selbst der Präsident von Mari-El, so darf
vielleicht hinzugefügt werden, ist ethnisch gesehen ein Russe.
In jüngster Zeit gab es Versuche, den Glauben der Vorväter wieder zu
erwecken. Einer der führenden Vertreter des alten Glaubens ist Alexei
Yakimow, ein pensionierter Elektriker, der behauptet, aus einer alten
Familie von Priestern zu stammen. Laut Yakimow beten die Mari eine
ganze Reihe von Göttern an, darunter führend Tunia Yuma und Osh
Kech Yuma. Es gibt weder Tempel noch Schriften; Riten werden in
heiligen Hainen abgehalten. Die Mari praktizieren Tieropfer. Wichtige
Gottheiten bevorzugen große Tiere wie etwa Pferde, während sich ihre
nachrangigen Kollegen mit Enten oder Hasen zufrieden geben. Kein
Gott wird ein Schwein oder eine Ziege akzeptieren.
Nun ist selbstverständlich keine Religion uniform, und so streiten
verschiedene heidnische Gruppen über die Doktrin, beispielsweise über
die korrekte Haltung, die dem Mari-Äquivalent des Satans gegenüber
einzunehmen ist. Für Außenseiter ist es jedoch schwierig, den
Glaubensanhängern exakte Informationen zu entlocken. Schon ein
oberflächlicher Blick auf den Forschungsstand zeigt aber, dass die Mari
daran glauben, dass die Nacht voll von bösen Geistern sei, die man zu
fürchten und respektieren hat. Was immerhin naheliegend ist.
From Russland Magazine (2007)
Daniel Kalder stammt aus Fife in Schottland und hat doch die vergangenen zehn
Jahre in Russland gelebt. In seinem Buch „Lost Cosmonaut“ nimmt er sich der
vergessenen Völker des Landes an. Es ist noch nicht auf Deutsch erschienen.
Daniel Kalder stammt aus Fife in Schottland und hat doch die vergangenen zehn
Jahre in Russland gelebt. In seinem Buch „Lost Cosmonaut“ nimmt er sich der
vergessenen Völker des Landes an. Es ist noch nicht auf Deutsch erschienen.